Podcast Folge 1: Gefäßchirurgie im Wandel – 40 Jahre DGG und der Blick in die Zukunft
Moderation: PD Dr. Rantner & PD Dr. Adili
Gast: Prof. Dr. Heckenkamp
40 Jahre DGG – Anlass genug für einen Blick zurück und nach vorn: PD Dr. Barbara Rantner spricht mit Professor Dr. med. Jörg Heckenkamp und PD Dr. med. Farzin Adili über Fortschritte, Herausforderungen und Perspektiven in der Gefäßchirurgie.


Gefäßchirurgie im Wandel
Themen in dieser Episode:
- Die Gründung der DGG und ihr Weg
- Technologische Entwicklungsschritte und der Wandel des Fachgebiets
- Sichtbarkeit in der Politik und gesellschaftliche Relevanz
- Nachwuchsförderung, Weiterbildung und die Rolle von Simulation
- KI, Robotik und Innovationen in der Gefäßchirurgie
- Persönlicher Rückblick von Prof. Heckenkamp auf zwei bewegte Jahre als Präsident der DGG
Weiteres zur Folge
Die Gefäßchirurgie hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt – von bahnbrechenden minimalinvasiven Eingriffen bis hin zu KI-gestützter Diagnostik. Doch wie sieht die Zukunft unseres Fachgebiets aus? Genau darum geht es in der ersten Folge von „Gefäße im Fokus – Fortschritte in der Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin“.
Und wo geht die Reise in den nächsten Jahren hin – zwischen Klinikreform, KI, Nachwuchsmangel und technologischen Sprüngen?
In unserer ersten Folge spricht PD Dr. med. Barbara Rantner mit Prof. Dr. med. Jörg Heckenkamp und PD Dr. med. Farzin Adili über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gefäßchirurgie.
Was politisch läuft, welche Innovationen richtig spannend sind – und warum man in Berlin oft erstmal erklären muss, was Gefäßchirurgie überhaupt ist: „Viele wissen, was ein Kardiologe macht – aber kaum jemand in der Politik weiß, was ein Gefäßchirurg eigentlich leistet“, bringt es Jörg Heckenkamp auf den Punkt.
Hören Sie jetzt in die erste Folge von „Gefäße im Fokus“!
Themen in dieser Episode:
– Die Gründung der DGG und ihr Weg
– Technologische Entwicklungsschritte und der Wandel des Fachgebiets
– Sichtbarkeit in der Politik und gesellschaftliche Relevanz
– Nachwuchsförderung, Weiterbildung und die Rolle von Simulation
– KI, Robotik und Innovationen in der Gefäßchirurgie
– Persönlicher Rückblick von Prof. Heckenkamp auf zwei bewegte Jahre als Präsident der DGG
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Einstieg
Rantner: Herzlich willkommen zur allerersten Folge von „Gefäße im Fokus – Fortschritte in der Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin“.
Mein Name ist Barbara Rantner, ich bin Gefäßchirurgin und Oberärztin am Klinikum der LMU in München.
Adili: Und mein Name ist Farzin Adili, Gefäßchirurg und Chefarzt am Klinikum in Darmstadt. Wir sind die Hosts von „Gefäße im Fokus“, dem neuen Podcast der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin. Abwechselnd werden wir Sie künftig gemeinsam mit unseren Gästen durch die spannende Welt unseres Fachgebiets begleiten. Wir beleuchten die neuesten Entwicklungen in der operativen, endovaskulären und präventiven Gefäßmedizin und diskutieren die Themen unseres Fachgebiets mit führenden Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Lehre, Klinik und Praxis.
Rantner: Ganz nach unserem Motto: „Wir denken Gefäße weiter“.
Adili: Dieser Podcast soll künftig für Sie, liebe Hörer*innen, eine Plattform bieten, auf der wir tief in die Themen eintauchen, die unser Fachgebiet prägen und voranbringen. In dieser ersten Episode stellen wir Ihnen aber zunächst die Gesellschaft vor, ihre Werte und Ziele und warum wir heute hier stehen. Wir hoffen, dass Sie damit einen guten Einstieg finden und die kommenden fachspezifischen Diskussionen und Einblicke noch mehr schätzen werden.
Mittelteil
Rantner: Das Jahr 2024 war ein sehr besonderes Jahr für unsere Fachgesellschaft. Wir haben den 40. Geburtstag gefeiert. Einige Teilnehmer werden vielleicht in Karlsruhe am Jahreskongress gewesen sein und können sich noch an die rauschende Party erinnern, die dazu gefeiert worden ist. Und das wollen wir jetzt also zum Anlass nehmen, um in dieser Folge mit dem Präsidenten aus den Jahren 2023-2024, Professor Jörg Heckenkamp, und dem aktuellen Präsidenten für die Jahre 2025 und 2026, das bist du, lieber Farzin, über die Entwicklungen in der Gefäßchirurgie bisher und natürlich auch die Herausforderungen in der Zukunft zu sprechen. Wir treffen uns jetzt hier zum ersten Podcast, kennen uns aber schon eine Weile aus der gemeinsamen Vorstandsarbeit und deswegen freut es mich sehr, dass wir diese Runde jetzt eröffnen dürfen. Lieber Jörg, herzlich willkommen. Wir freuen uns, dass du gekommen bist.
Heckenkamp: Ja, vielen herzlichen Dank für die nette Einladung.
Rantner: Jörg, wenn wir jetzt auf diese vergangenen 40 Jahre zurückblicken, wir haben es beim Eingangsgespräch als Vorbereitung für einen Podcast schon gesagt, keiner von uns war die ganze Zeit dabei, wir sind keine Gründungsmitglieder. Aber was würdest du denken, wie hat sich denn die DGG als Fachgesellschaft in den vergangenen Jahren entwickelt und was waren so die Meilensteine, die seit 1984 passiert sind?
Heckenkamp: Damals war die Medizin eine völlig andere, die Chirurgie war eine völlig andere und natürlich waren Gefäßchirurgen Anfang der 80er Jahre eingebettet in die große Familie der Chirurgie, in die allgemeine Viszeralchirurgie. Und natürlich wurde die Gründung einer eigenen Fachgesellschaft für Gefäßchirurgie mit großem Argwohn betrachtet und natürlich nicht goutiert von vielen anderen chirurgischen Fachgesellschaften. Nichtsdestotrotz haben einige unerschrockene Kolleginnen und Kollegen sich überlegt, dass man Gefäßchirurgie weiterdenken muss, und haben sich seinerzeit entschieden, die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie zu gründen. In diesen 40 Jahren ist natürlich unheimlich viel passiert. Man kann heute sagen, das war richtig, dass sie genau das getan haben, denn unser Fachgebiet hat sich erheblich entwickelt, und wir sind heute als DGG die größte europäische vaskuläre Fachgesellschaft. Und daran sieht man, dass das eine Erfolgsgeschichte war und dass damals Visionäre die richtige Idee hatten, genau diese Fachgesellschaft zu gründen.
Rantner: Gerade diese Diskriminierung von den anderen chirurgischen Fächern war sicherlich, wie du schon gesagt hast, notwendig und sinnvoll, wenn man auch auf die Technologien in der Gefäßmedizin zurückblickt, die gerade in den letzten 40 Jahren stattgefunden haben. Was denkst du, hat uns da vordergründig am weitesten in der Entwicklung geholfen, Gefäßmedizin zu machen?
Heckenkamp: Also ich glaube, eine ganz wichtige Entscheidung war die der Bundesärztekammer 1978, ein Teilgebiet Gefäßchirurgie einzurichten und somit uns auch, was Weiterbildung, Fortbildung angeht, eigenständig zu machen. Das war ein ganz wesentlicher Grundstein des Erfolges, glaube ich. Und zudem hat sich natürlich unser Fachgebiet, die Gefäßchirurgie, wahnsinnig entwickelt in den letzten 40 Jahren. Wenn man sich in den 80er-Jahren umschaut, war oft die offene Gefäßchirurgie das Thema, was wir bearbeitet haben. Aber mittlerweile gibt es ja ganz viele endovaskuläre, minimalinvasive Methoden, die wir ebenfalls akquiriert haben und anwenden. Und ich glaube, wir können heute unsere Patienten ganz anders behandeln als wir das damals konnten, und die DGG als wissenschaftliche Fachgesellschaft hat diesen ganzen Prozess mitbegleitet.
Rantner: Das war jetzt schon ein gutes Stichwort, Jörg. Das wäre gerade schon meine nächste Frage gewesen. Die DGG wurde ja als wissenschaftliche Fachgesellschaft gegründet. Es findet und fand immer schon wahnsinnig viel Berufspolitik zusätzlich in der Gesellschaft statt. Wie siehst du das von der Verteilung und wie hat denn die DGG auch diese Entwicklungen für ihre Mitglieder in den vergangenen 40 Jahren mitgetragen?
Heckenkamp: Ja, gute Frage. Zu den ersten Jahren kann ich nicht viel persönlich beitragen, aber es war immer schon so, seitdem ich Mitglied der DGG bin und auch die Geschichte der DGG mitverfolge, dass es nicht nur um wissenschaftliche Themen ging, auch wenn diesesehr wichtig waren und es ist auch nach wie vor, glaube ich, ganz essenziell, dass wir die Wissenschaftlichkeit fördern und dass wir da ein wichtiger und guter Gesprächspartner sind. Aber natürlich gibt es noch vielerlei andere Dinge, die wir als DGG begleitet haben und begleiten, und ich glaube tatsächlich, dass Berufspolitik in diesen sehr volatilen Phasen auch eine ganz wichtige Aufgabe unserer Fachgesellschaft ist. Ob das nun Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern sind oder ob das Gespräche mit befreundeten Fachgesellschaften sind, all das betrifft wesentliche Interessen unserer Mitglieder und von daher denke ich, das ist ein ganz wichtiges Betätigungsfeld, und wir sehen ja auch in der Vorstandsarbeit – und ich habe das in meiner Präsidentschaft gesehen – dass das mehr und mehr Raum und Zeit eingenommen hat.
Rantner: Farzin, da kann ich vielleicht die nächste Frage gleich an dich mal weitergeben. Der Jörg hat es schon gesagt, Berufspolitik hat uns auch im Vorstand zuletzt sehr beschäftigt. Wir sind in sehr aufregenden, vielleicht auch politisch rauen Zeiten aktuell und es gibt viel Veränderung im Gesundheitswesen. Welche Herausforderungen siehst du jetzt konkret für die Gefäßchirurgie in Deutschland?
Adili: Also eine der sicherlich herausragenden Herausforderungen der nächsten zwei, drei Jahre wird der Umgang mit der Krankenhausreform in Deutschland sein. Gefäßchirurgie ist ja ein Fach, das vor allen Dingen unter stationären Bedingungen, also in den Krankenhäusern stattfindet, und dort wird durch diese Reform natürlich einiges ziemlich auf links gedreht werden. Manche Abteilung wird von der Krankenversorgung möglicherweise ganz ausgeschlossen werden, andere werden ihre Leistungsbereiche verändern müssen. Da könnte man sagen, okay, daran kann man sich irgendwie anpassen, aber das hat natürlich Sekundäreffekte für die Mitarbeitenden vor Ort, ganz besonders natürlich im Hinblick auf Aus-, Fort- und Weiterbildung. Auf der anderen Seite haben wir natürlich genau die gleichen Probleme wie viele andere Branchen und ganz besonders im Gesundheitswesen: Nachwuchsmangel und Fachkräftemangel. Das ist sicherlich etwas, was uns sehr stark beschäftigt und das muss alles abgefedert werden. Du hast es ja schon gesagt, wir sind als wissenschaftliche Fachgesellschaft angetreten und jetzt ist tatsächlich Wissenschaft ein Teil unserer Tätigkeit, aber wir nehmen vor allen Dingen auch berufsverbandliche Aufgaben wahr. Das sind eben diese berufspolitischen und so versuchen wir auf verschiedenen Ebenen in der Politik darauf hinzuwirken, dass das zukünftige Arbeiten unter den veränderten Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern auf der einen Seite, aber auch im Hinblick auf die Fachkräfteproblematik für uns so gut, so praktikabel wie möglich abgebildet werden kann.
Rantner: Jörg, wir haben in der Vorstandsrunde jetzt sehr häufig über das, was mein persönliches Wort aus 2024 ist: „Sichtbarkeit“ gesprochen. Wir haben uns sehr bemüht, unsere Präsenz in der öffentlichen Wahrnehmung sozusagen zu erhöhen. Wir sind politisch aktiv geworden. Das hat sich schon als herausfordernd dargestellt, weil in den unterschiedlichen Gremien erstmal die Einflusspersonen identifiziert werden mussten. Du und Farzin wart da sehr aktiv, ihr seid für uns nach Berlin gereist. Könntest du unseren Hörerinnen und Hörern noch mal so einen kurzen Einblick gewähren, was denn jetzt tatsächlich die Notwendigkeiten waren, um die Politik für unsere Belange zu schärfen und in dieser Zeit der Neustrukturierung und auch Ressourceneinschränkung unsere Belange wieder sichtbar zu machen?
Heckenkamp: Ja, das ist eine gute Frage und da kann ich ganz banal anfangen. Das Problem ist, dass ganz viele Menschen und auch die Menschen, die an verantwortungsvoller Position in Berlin sitzen, gar nicht wissen, was Gefäßchirurgie überhaupt ist. Und mit diesem ganz kleinen Dominostein muss man mal anfangen, denn Kardiologie, Herzmedizin kennen viele, Krebs hat eine große Lobby, kennen viele, aber gefäßchirurgische, gefäßmedizinische Fragestellungen sind tatsächlich in Berlin weitestgehend unbekannt. Und wir haben uns da auch auf bisher unbekanntes Terrain begeben. Ich habe so ein bisschen mitbekommen, wie Gesundheitspolitik funktioniert, und es geht tatsächlich in sehr, sehr kleinen Schritten. Und am Ende steht immer die Idee der Wiederwahl im Raum bei alledem, was man diskutiert, und häufig ist der Inhalt, der dann transportiert werden soll, nur so ein bisschen nebensächlich, und der passt hoffentlich dann genau in die Idee der Wiederwahl. Nichtsdestotrotz, glaube ich, haben wir Zugang bekommen zu Meinungsbildnern im Bundesgesundheitsministerium. Wir haben auch mit verschiedenen Abgeordneten gesprochen. Wir haben mit verschiedenen Parteien gesprochen. Und ich glaube, so ganz peu à peu entsteht zumindest mal eine Idee, warum sind Gefäßchirurgen und Gefäßchirurgen so wichtig in diesem Land und was für Krankheiten behandeln wir eigentlich? Damit sind wir einen großen Schritt weitergekommen. Und in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Gemeinsamen Bundesausschuss, konnten wir tatsächlich gerade im Hinblick auf die Qualitätsrichtlinie BAA doch einiges bewirken. Also es ist ein spannendes Feld. Es ist aber auch ein Feld, wo man ein bisschen Geduld und Sitzfleisch braucht. Und das ist ein Feld der ganz kleinen Erfolge. Aber ich glaube, wir sind da auf dem richtigen Weg.
Adili: Für mich war ganz besonders eindrucksvoll, Jörg, du wirst dich erinnern, als wir den Fraktionsvize der CDU-CSU-Bundestagsfraktion bei dir begrüßen durften, als du ihm ein Trägersystem für eine EVA, für eine endovaskuläre Aorta in die Hand gedrückt hast. Erinnerst du dich?
Heckenkamp: Ja, lieber Farzin, ich kann mich an das Meeting mit dem Bundestagsabgeordneten Mittelberg auch bestens erinnern. Und für mich war es auch außergewöhnlich zu sehen, wie er plötzlich eine gewisse Faszination für unser Fach sehr kurzfristig erlebt hat, nachdem wir ihm Trägersysteme und Stentsysteme gezeigt haben und er genau diese in die Hand genommen hat. Und man merkte richtig, dass dann das Interesse an unserem Fach plötzlich doch anders war, als zu dem Zeitpunkt, als er reingekommen ist. Und ich glaube, nur so mit all diesen Errungenschaften, die wir haben und mit all diesen spannenden Dingen, die wir machen, gelingt es uns, noch näher an die Politik zu kommen. Und deswegen sind gerade so entspannte Treffen außerhalb des Protokolls, glaube ich, sehr wichtig. Und ich bin froh, dass wir da die ein oder andere Tür öffnen konnten.
Rantner: Und Farzin, Jörg hat schon gesagt, andere Disziplinen haben eine deutlich höhere Sichtbarkeit. Jeder weiß, was ein Kardiologe macht. Viele wissen auch schon, was die Radiologen machen. Und gerade in dem Zusammenhang war es natürlich auch für uns wichtig, sowohl Kooperationen, aber auch Diskriminierung zu anderen Fachdisziplinen einzugehen, um also auf der einen Seite gemeinsame Interessen vielleicht im Bundesausschuss auf Regierungsebene breit zu positionieren, auf der anderen Seite aber ja auch die Rolle der Gefäßchirurgie als individuelles Fach nochmal zu unterstreichen. Wie siehst du das? Ist es mehr gemeinsam oder einsam?
Adili: Also ich bin fest davon überzeugt, dass es nur gemeinsam geht. Also ich habe Medizin und natürlich insbesondere Chirurgie immer als Teamwork begriffen. Und es ist auch generisch, dass wir mit unseren unterschiedlichen Kompetenzen und Expertisen gemeinsam zusammen am Patienten am wirkungsvollsten wirken können. Deswegen ist meine Überzeugung ganz fest, es geht in der Fachlichkeit nur gemeinsam. Und in vielen Kliniken durfte ich erleben, dass man praktisch am Patientenbett überhaupt keine Probleme, Berührungsängste oder auch Konflikte austragen muss, wenn es darum geht, die beste Lösung für die Patienten zu finden. Hier und da, das wissen wir natürlich auch, gibt es auf der berufspolitischen Ebene natürlich Friktionen, aber das muss sich eigentlich in meinen Augen unterordnen, unserem Ziel tatsächlich eine gute Medizin zu machen. Und etwas, was ich aus den Diskussionen mit der Gesundheitspolitik auch mitnehmen durfte, war, die Gesundheitspolitik kennt diese kleinen Fächer oder die Subspezialisierungen nicht. Die wissen natürlich, was ein Chirurg ist, die wissen, was ein Internist oder ein Kinderarzt ist oder ein Frauenarzt. Aber den Unterschied zwischen einem Gefäßchirurgen und einem Angiologen oder einem Thoraxchirurgen oder einem plastischen Chirurgen, den kennen die gar nicht so sehr. Den kennt ja noch nicht mal unsere Approbationsordnung, also unsere Ausbildungsordnung für die Ärztinnen und Ärzte. Die kennen halt nur Chirurgie und Innere Medizin. Und nur wenn wir gemeinsam, wenn die Politik erkennt, dass Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachgebiete, aber mit ähnlichem klinischen Schwerpunkt, mit dem gleichen Anliegen nach vorne kommen und an einem Strang ziehen, dann werden wir gehört und gesehen und dann können wir was bewegen. Aber wenn die wahrnehmen, dass wir uns untereinander nicht grün sind, dann schwächt das unsere Position. Und deswegen denke ich, es geht auf der berufspolitischen Ebene wirklich nur gemeinsam. Aber diesen Konsens zu erzielen, das ist natürlich teilweise harte Arbeit.
Rantner: Wir haben jetzt schon relativ viel über Berufspolitik gesprochen und auf der anderen Seite trotzdem erwähnt, wie schnelllebig die Gefäßmedizin und die Entwicklungen, die Technologien in der Gefäßchirurgie in den vergangenen Jahren waren. Wir bewegen uns im Zeitalter von künstlicher Intelligenz, Robotik. Farzin, was denkst du jetzt, wo du mit Jahreswechsel die Präsidentschaft für die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie übernommen hast? Welche Technologien werden uns in den nächsten Jahren besonders begleiten? Was ist für die Gefäßchirurgie nur mäßig relevant? Wo siehst du Horizonte und Grenzen?
Adili: Was die Fachlichkeit angeht, also unser fachliches Tun am Patienten, denke ich, dass im Moment die größte Innovationskraft vor allen Dingen in den endovaskulären Technologien liegen. Also Stichwort Miniaturisierung, Stichwort Vessel Preparation, also endovaskuläre Methoden, um Gefäße wieder gangbar zu machen, um sie gangbar zu halten und das möglichst minimal invasiv. In die andere Richtung den Thorax, den Aortenbogen bis hin zur Aortenklappe mehr und mehr auch mit minimalinvasiven Techniken zu behandeln. Da tut sich im Moment sehr, sehr viel, muss man sagen. Und im Grunde genommen bei jedem Meeting, das wir besuchen, können wir irgendetwas Neues erleben. Auch wie die Innovationskraft unserer Kolleginnen und Kollegen, die es immer wieder vermögen, diese neuen Technologien mit der konventionellen Gefäßchirurgie zu kombinieren, also im Sinne von Hybrid-Operationen und die immer weiter zu verfeinern. Das ist wirklich eindrucksvoll zu verfolgen. Also da sehe ich praktisch am Patienten mit die eindrucksvollsten Veränderungen. Du hast es eben selbst angesprochen, künstliche Intelligenz, Augmented Reality, das ist natürlich das zweite große Thema. Da haben wir ja in der Gefäßmedizin mit der Fusionsbildgebung große Fortschritte gemacht. Der Trend geht ganz klar auch hin zur Navigation in dem Gefäßsystem, möglichst unter Vermeidung ionisierender Strahlen, also immer weiter wegzukommen von den Röntgenstrahlen. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz und Simulation für die Fort- und Weiterbildung wird in meinen Augen die Zukunft der Weiterbildung. Also ich halte es für praktisch undenkbar, dass wir in einigen Jahren Kolleginnen und Kollegen praktisch erstmals am Patienten operieren lassen, bevor sie nicht im Rahmen einer High-Fidelity-Simulation gezeigt haben, dass sie nicht nur wissen, wie es geht, sondern es auch manuell umzusetzen vermögen. Das alles kann man mittlerweile durch die modernen Technologien außerhalb des Operationssaals erlernen, so wie Piloten am Simulator fliegen, bevor sie das erste Mal ins Cockpit steigen. Und ich denke, das wird einen Großteil der Aus- und Weiterbildung ausmachen. Und da sehe ich das stärkste Potenzial. Und von der KI-gestützten Diagnostik brauchen wir gar nicht zu reden. Das spielt ja schon in vielen anderen Fachgebieten eine große Rolle. Und ich glaube, das wird auch uns bei der Verrichtung unseres ärztlichen Alltagswerks sehr große Hilfe leisten. Stichwort Arztbriefschreibung, Stichwort Medikation, Vermeidung von Polypharmazie und, und, und.
Rantner: Farzin, daran angelehnt vielleicht und weil ich weiß, welch beseelter und engagierter Lehrer du bist: Was denkst du wird jetzt während deiner Präsidentschaft besonders wichtig sein, wo möchtest du deinen Fokus legen? Ich kann mir vorstellen, dass es stark in den Sektor Ausbildung, Fort- und Weiterbildung gehen wird. Aber was hast du dir vorgenommen für die nächsten zwei Jahre?
Adili: Also bevor ich sozusagen mal kurz meine Agenda skizzieren darf, möchte ich erstmal damit beginnen, dass ich natürlich wie alle anderen vor mir, Jörg, du wirst es sehr gut nachempfinden können, den Weg weitergehe, den die anderen eingeschlagen haben. Das heißt, eine unserer Aufgaben im Vorstand wird sein und ich sehe mich da praktisch nur als Primus inter pares, das Tagesgeschäft zu bewältigen. Das heißt, die täglichen Herausforderungen, die in der Berufspolitik – das, was wir jetzt in den vergangenen Minuten alles besprochen haben – auf uns wartet oder unerwartet einwirken wird, das zu verarbeiten und im Sinne unserer Mitglieder und der Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen in Deutschland so gut wie möglich für uns umzusetzen. Als eigene Agenda tatsächlich habe ich natürlich auch Ideen. Du hast es auch vorhin schon gesagt, das Wort Sichtbarkeit spielt eine ganz große Rolle und ich sehe es als eine Aufgabe unserer Fachgesellschaft an, der Gefäßchirurgie beziehungsweise Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen zu größerer Sichtbarkeit zu verhelfen. Wie können wir das tun? Indem wir natürlich auf der einen Seite die Wissenschaftlichkeit unseres Faches in den Vordergrund stellen. Das heißt, indem wir aussagekräftige, gute, gut lesbare, gut anwendbare Leitlinien erstellen, dass wir bestehende Leitlinien verbessern, dass wir die Versorgungsforschung fördern. Wir haben ein eigenes Institut, das DIGG, das Deutsche Institut für gefäßmedizinische Gesundheitsforschung, das sich vor allen Dingen der Versorgungsforschung verschrieben hat. Und Versorgungsforschungsdaten, die also in die Zehntausende gehen, spielen eine immer größere Bedeutung, um zu verstehen, wie Medizin funktioniert. Das weiter zu befördern, dass wir uns besser vernetzen. Das heißt, ich möchte uns gerne in den Dienst stellen, unsere wissenschaftlichen Leuchttürme an den Universitäten und den Forschungsinstituten stärker zueinander zu bringen, also stärker zur Grundlagenforschung, zur translationalen Forschung zu führen und auch die Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen noch besser miteinander zu vernetzen im Sinne einer wissenschaftlichen Professionalisierung, im Sinne eines Faculty Development. Und last but not least glaube ich, dass es extrem wichtig ist, stärker und intensiver noch mit der Industrie zusammenzuarbeiten. Die Industrie ist gerade, was die Entwicklung von Innovationen angeht, unverzichtbar. Die brauchen aber auch unsere Impulse. Da können wir voneinander sehr viel lernen bzw. voneinander profitieren. Wir brauchen aber die Industrie auch, um unsere Forschungsergebnisse und unsere Leistungen sichtbar zu machen. Das heißt, die unterstützen unsere Jahrestagung beispielsweise. Und der letzte Komplex ist tatsächlich Aus-, Fort- und Weiterbildung. Ich würde gerne in den nächsten zwei Jahren für die gefäßchirurgische Lehre Standards entwickeln. Die gibt es natürlich schon, aber Standards in der Lehre. Wie können wir tatsächlich unter den Rahmenbedingungen, unter denen wir arbeiten, noch besser ausbilden, weiterbilden, fortbilden? Das Ganze hat eine didaktische, methodische Säule. Das heißt, wir müssen das nötige didaktische Wissen weitergeben. Und es hat eine gewisse technologische Säule. Das heißt, wir müssen tatsächlich, wenn wir wollen, dass wir durch Simulationen lernen, diese Dinge auch mit weiterentwickeln. Dann wird man an uns herantragen, die Weiterentwicklung der Musterweiterbildungsordnung. Das wird ein großes Thema werden. Die Bundesärztekammer steht da schon in den Startlöchern. Denn auch die Weiterbildungsordnung wird sich an die neuen Gegebenheiten im Gesundheitswesen anpassen müssen. Und da passiert sehr, sehr viel im Augenblick. Und wenn es uns dann noch gelingt, unsere Weiterbilder stärker zu vernetzen, sodass wir enger miteinander zusammenarbeiten und tatsächlich die jungen Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen genau dorthin führen, wo sie bestimmte Operationen, bestimmte Techniken am besten lernen können und das möglichst vernetzt, dann wäre ich schon ziemlich happy. Du siehst, ich habe mir sehr, sehr viel vorgenommen. Aber nur wer viele Visionen hat, kann die eine oder andere vielleicht zur Realität werden lassen.
Rantner: Ja, absolut. Also das Motto ist offensichtlich, wir strecken uns nach der Decke. Das Vorstandsteam wird dir nach besten Kräften dabei helfen, diese Pläne umzusetzen. Und ich hätte jetzt noch eine Frage an den Jörg. Wir haben dich ja bei unserem letzten Zusammentreffen im November so aus dieser Präsidentschaft mit einem sehr persönlichen Rückblick, den du uns gewährt hast, entlassen. Wenn du jetzt zurückblickst auf die letzten zwei Jahre, gab es Dinge, die du noch unbedingt eigentlich verwirklichen wolltest, für die die Zeit zu knapp war? Gab es Dinge, die du überhaupt nie angedacht hättest, machen zu müssen? Vielleicht kannst du unseren Hörerinnen und Hörern nochmal ein kurzes Resümee geben über die vergangenen zwei Jahre, dass der Farzin vielleicht eine Idee kriegt, ob alles das, was er jetzt gesagt hat, tatsächlich zu realisieren sein wird.
Heckenkamp: Nein, aber das ist ja auch immer so, dass das nicht zu realisieren sein wird. Und trotzdem muss man sich ganz viel vornehmen. Das habe ich auch getan. Und ich bin tatsächlich auch recht glücklich aus diesen zwei Jahren dann entlassen worden. Natürlich hat man nicht alles geschafft, was man machen wollte, insbesondere was die politischen Dinge angeht. Da hätte ich mir gewünscht, dass man da doch ein bisschen flotter und konstruktiver ins Gespräch kommt. Und da bin ich oft genug auf den Boden der Tatsachen geholt worden. Aber es gab auch andere Dinge, die, glaube ich, hervorragend funktioniert haben. Das war, dass wir aufbauend auf das Leitbild, welches wir entwickelt und verabschiedet haben, auch mit großer Zustimmung unserer Mitglieder, die Branding-Kampagne weitergeführt haben mit einem neuen Auftritt, mit einem neuen Logo. Wir haben die Öffentlichkeitsarbeit, somit unsere Sichtbarkeit, damit in den Fokus gerückt. Wir haben, was Social-Media-Aktivitäten angeht, früher als andere gemerkt, dass X nicht mehr die richtige Plattform für uns ist, sondern haben uns dann auf LinkedIn fokussiert. Und da haben wir mittlerweile eine sehr große Followerschaft. Und die sind eigentlich immer bestens informiert über das, was hinter den Kulissen so passiert. Und ich finde, dass die Kommunikation mit unseren Mitgliedern tatsächlich auch nochmal eine neue Ebene erreicht hat und wir gut im Gespräch sind mit all denen, die Mitglieder der DGG sind und natürlich auch ihre Interessen vertreten haben wollen. Von daher gehe ich mit einem sehr guten Gefühl aus diesen zugegebenermaßen sehr anstrengenden zwei Jahren heraus. Aber Farzin und ich waren immer im Gespräch und sind immer im Gespräch. Und Farzin, du hast es wunderbar gesagt: Das ist natürlich nicht nur immer ein Zeitstrahl von zwei Jahren, sondern man nimmt von dem vorangegangenen Präsidenten Dinge mit auf, die weiter begleitend sind. So war das bei mir, so wird das auch bei Farzin sein. Und solange wir uns im Vorstand da, glaube ich, gut verstehen und die gleichen Wertigkeiten und Wichtigkeiten in den Fokus stellen wollen, dann ist das hervorragend, dass das dann auch ein Prozess ist, der über viele Jahre sich in die richtige und gute Richtung entwickelt, sodass ich durchaus ein positives Fazit ziehen möchte nach meinen beiden Jahren. Und ich bin froh, dass das jetzt in Farzins Händen ist, denn wir kennen uns über viele Jahre, wir tauschen uns intensiv aus und ich glaube, wir haben da die gleichen Ideen und nicht nur wir beiden, sondern auch der Rest des Vorstandes.
Rantner: Ja, vielen, vielen Dank für dieses erste Gespräch. Ich sage es ganz ehrlich, ich war sehr aufgeregt, wie das heute ablaufen wird. Ich bedanke mich, Jörg, bei dir, natürlich auch bei dir, Farzin, für diese schönen Einblicke in die 40 Jahre der Gefäßchirurgie, was Berufspolitik, Wissenschaft, Innovation, Aus- und Weiterbildung betrifft. Ich hoffe, wir konnten unseren Hörerinnen und Hörern einen kleinen Einblick geben aus unserer Vorstandstätigkeit und aus dem Aufgabenfeld der DGG. Gibt es noch eine Botschaft, die ihr den jungen Ärztinnen und Ärzten mit auf den Weg geben wolltet? Vielleicht Zuhörern, die sich so gerade in der Entscheidungsfindung befinden, welches chirurgische Fach sie angehen sollten? Farzin, was würdest du da noch gerne mitgeben?
Adili: Was soll ich jetzt sagen, anderes als Gefäßchirurgie?
Rantner: Jörg, ich erwarte von dir nichts anderes?
Heckenkamp: Nein, ich habe mich seinerzeit mal dafür entschieden und habe das tatsächlich nie bereut und finde das ein Fach, was ganz faszinierend verschiedene Aspekte des chirurgischen Seins beleuchtet und betrachtet, von konservativer Gefäßmedizin hin zu ambulanter Gefäßmedizin, operativer Gefäßchirurgie, interventioneller Gefäßchirurgie. Man kann alles machen, man ist mit ganz vielen verschiedenen Dingen beschäftigt und ich mache es viele Jahre, aber ich mache es immer noch gerne.
Rantner: Und ohne da vielleicht zu weit ins Private gehen zu wollen, Jörg, aber du hast ja schon bewiesen, dass du das sehr gut vorlebst, weil deine Tochter ist ja auch schon unbedingt auf dem Track und die hat mit dir das schon persönlich diskutiert, ob es wirklich jetzt der gefäßchirurgische Weg sein soll und sie sagt, „kein anderer“.
Heckenkamp: Naja, dazu muss ich sagen, sie hat letztens ein Praktikum in der Neurochirurgie gemacht und seitdem ist die Neurochirurgie ganz hoch im Kurs, aber ich hoffe, dass ich das noch umbiegen kann.
Schluss
Adili: Dann lass mich nur ganz kurz noch auch mal in die Moderatorrolle noch mal zurückschlüpfen. Barbara, ich möchte auch dir ganz herzlich danken für das Gespräch und die wunderbare, charmante Moderation. Also, es hat echt Spaß gemacht. Für mich ist das auch das erste Mal, dass ich so einen Podcast mache. Ich fand es wirklich spannend und aufregend und freue mich auf die nächsten. Wir hoffen Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, auch hoffentlich etwas geboten zu haben und Sie ein bisschen neugierig gemacht zu haben auf unseren neuen Podcast, und würden uns natürlich freuen, wenn Sie uns Fragen und Feedback geben unter podcasts(at)medizinkommunikation.org und zur nächsten Folge wieder einschalten. Hinterlassen Sie uns also gerne auf der Podcast-Plattform Ihrer Wahl eine Bewertung und folgen Sie uns auf dem Podcast der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie. Und in diesem Sinne, bis dahin, alles Gute und Tschüss!